TRAMGEDICHT I
Ein Gesicht
das man nicht
vergisst
sag ich
so schnell
sag ich so schnell
sag ich, so schnell
nicht so schnell? Warum?
Augen
seltsam blau
darunter dunkle Schatten
Die Lippen
schmal
mit wenig Farbe
und alles fein
zerbrechlich
wie ... ich weiß es nicht
doch was mich fesselt ist
die leise Traurigkeit in ihrem Blick
selbst als sie lächelt
Da ist nicht dieser Panzer
aus Überlegenheit
zum Schutz gegen die Welt
Gar nicht?
Oder noch nicht?
Wie alt ist sie?
Ich seh' sie,
Augen, Lippen, doch
um das zu sehn
fehlt schon zu viel
Fünf Stunden
brechen schon
fatale Lücken in das Bild
Was bleibt
ist ein Skelett
und ein Gefühl
Erschrecken
wie leise
wie schnell
Vergessen arbeitet
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TRAMGEDICHT II
Ein Typ steigt ein
Nein, kein Mann
auch kein Junge
Ein Typ halt
Der ist cool
Er zieht ein Messer
größer als sein Selbstbewusstsein
schärfer als sein Verstand
und beginnt
damit seine Zähne zu säubern
Ich habe Angst
er könnte sich mit dem Messer
den Kopf abschneiden
Zweifelsohne
muss man ihn bewundern
Doch bevor ich dazu komme
steige ich aus
eine Haltestelle früher als gewohnt
Man weiß ja nie
(beide Grenoble, 1992)
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