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ES MUSS ETWAS GESCHEHEN

FÜR ANDREAS - Vielleicht war er mit dabei.





Wann wir erkannt haben, dass etwas geschehen muss, habe ich vergessen. Es ist schon langer her.

Wann wir erkannten, dass sofort etwas geschehen muss, weiß ich genau: Es war an dem Tag, an dem die Zeitung von drei Nazis berichtete, die auf offener Straße einen Auslander niedergeschossen hatten. Einfach so.

Wann uns einfiel, was wir tun werden, das war letzten Monat. Wir hatten in dem Bistro am R~... gesessen, M., B. und ich, und wir waren uns einig gewesen, dass das Übel mit der Wurzel ausgerottet werden musste. Die Idee kam von B. und klang bizarr. "Wir werden Adolf Hitler töten." B. redete selten Unsinn und darum ließen wir ihn weiter sprechen. Die Zeitmaschine im Keller des Instituts für angewandte Geschichtsforschung war einmal kurz in den Schlagzeilen gewesen, hatte aber niemanden überzeugt. Das Prinzip war zu einfach erschienen, als dass es hatte funktionieren können. Dem Erbauer, Professor L., war es recht. Kein Aufruhr.

Heute werden wir es versuchen. Die Vorbereitungen sind abgeschlossen. Mausgraue Uniformen, drei Armeepistolen Kaliber ..., Proviant für zwei Tage. Eine Karte von Ypern. Ein Foto von ihm. Wir wissen, wo er war, damals, 1914. Wir wissen, wie er aussah. Wir wissen, wie wir uns zu benehmen haben, damals, 1914.

Wir werden es tun.

Auf der Wand der Kellertreppe prangt ein Hakenkreuz. Wir sehen uns an und treten ein. Die Bedienung ist einfach, und plötzlich sind wir damals. Und dort. In Ypern.

Unsere Planung war dilettantisch, aber wir haben Glück. Niemand fragt uns, niemand hält uns auf. Unser Dienstgrad reicht aus, zu erfahren, wo er heute ist, der Soldat Adolf Hitler. Er reicht aus, die Kontrollen zu passieren. Bis zur Front. Er reicht aus, IHN zu finden. Im Schützengraben. Bleich, verdreckt.

Wir stehen uns gegenüber.

Ein entsetzlicher Moment: Die Sonne steht tief. Die unscheinbare Gestalt in den zu weiten grauen Hosen wirft einen langen Schatten. Fast wie ein Strich. Unsere drei Schatten verschmelzen zu einem. Wir starren IHN an. Er grüßt.

Ich ziehe meine Pistole.
Drei Pistolen zielen auf seinen Kopf. Plötzlich ist Panik in seinem Gesicht. Nackte Angst. Aber auch bei mir. Ich zögere, starre ihn an.

Die Zeit

steht

st

i

l

l

.

.

.

Dann fällt ein Schuss.



Wir sind wieder da. Schweigsam. Ohne klare Gefühle. Wir haben es geschafft. Wir haben einen unschuldigen Mann erschossen. Einfach so.

Wir haben es getan.

Nun werden wir sehen.

Wir stehen im Keller und warten. M. entscheidet für uns. Er geht zur Kellertüre, will hinaus. Auf der Wand sitzt das Hakenkreuz. Wie eine Spinne.

Eine Woche ist nun vergangen. Seit der Expedition. Nichts hat sich verändert. Oder ... doch, ja. In den Geschichtsbüchern stehen Berichte über einen Mann, der die ganze Welt in einen wahnsinnigen Krieg gerissen hat und der Millionen Menschen ermordet hat, nur weil sie jüdischen Glaubens waren.

Arnold Hillersen hieß er. Aus Hamburg.

Es muss etwas geschehen.

(1994?)

     

   © 2014 by Georg Ehlen